Proms-Sommertagung „Linkes Werk & rechter Beitrag“ am 5. & 6. September 2020 in Kiel

Teil 2: „Zwei Seiten einer Medaille: Bedingen sich linke und rechte Politik gegenseitig? Drei Thesen und eine Annäherung“

Die Sommertagung von Proms Nord e.V. stand in diesem Jahr unter dem Motto „Linkes Werk und rechter Beitrag“. In Anlehnung an John Irvings Roman „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ sollte erschlossen werden, ob sich rechte und linke Politik gegenseitig bedingen, es also eine Wechselbeziehung gibt. In dieser Reihe soll die Tagung rekapituliert werden. Im ersten Teil wurden Verschwörungserzählungen und Antisemitismus bearbeitet. Dies ist der zweite Teil.

Die Extremismustheorie und ihre fatale Wirkung auf linke Politik

Das inhaltliche Herzstück der Tagung war von den drei bereits beim letzten Mal genannten Thesen geprägt, die als Diskussiongrundlagen dienten. Zunächst wurde sich eine Stunde der Frage gewidmet, ob linke und rechte Politik gleichermaßen extremistische Bestrebungen zur Abschaffung der Demokratie seien. Und obwohl dieser Aussage schnell eine klare Absage der Teilnehmenden erteilt wurde, ergaben sich doch nuanciertere Erklärungen. Würde man die Extreme als gleichermaßene Abweichungen von der Norm der Mitte sehen, wären kaum progressive gesellschaftliche Veränderungen mehr möglich, ohne diese zu stigmatisieren. Man könnte von einem konservativen Totschlagargument sprechen, obschon die Demokratieforschung sich gern dafür ausspricht, die Unterscheidung beizubehalten, weil sie besonders die Gewaltanwendung als Kriterium nicht „mittiger“ politischer Einstellungen heranzieht, während Kritiker*innen darin eine viel zu oberflächliche Klassifizierung sehen, da das Menschenbild ein grundsätzlich verschiedenes sei. Die Diskussion drehte sich entsprechend auch darum, ob Links“extreme“ nicht auch eigentlich verkappte Rechtsextreme seien, wenn sie Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele anwenden würden, wie etwa Stalinist*innen oder die Rote Armee Fraktion. Im Ergebnis wurde sich darauf geeinigt, dass links nicht mit gut und rechts nicht mit schlecht zu übersetzen seien, sondern beide inhaltlich wie strukturell falsch liegen könnten. Man könne diejenigen, deren Methoden einem nicht gefielen, speziell wenn es um die Anwendung von Gewalt zur Erreichung politischer Ziele gehe, nicht einfach aus dem eigenen politischen Lager ausschließen. Stattdessen bedürfe es unter Umständen weiterer Kategorien, um zu klassifizieren, wo eine Position einzuordnen sei.

Identitätsfragen und linke Politik

Noch hitziger lässt sich die Diskussion zur These beschreiben, linke Identitätspolitik verbiete eine jede Abweichung von ihrer eigenen Ideologie. Denn dann dürften nur Betroffene zu ihrer jeweiligen Diskriminierung sprechen. Entsprechend würden Linksliberale und Kosmopolit*innen häufig für das Erstarken der Rechten, in Deutschland etwa der AfD, verantwortlich gemacht. Anstatt den Neoliberalismus strukturell zu kritisieren, würde sich seiner Methoden bedient, anstatt den Sozialstaatsabbau und die Verharmlosung von Rechtspopulismus zu kritisieren. Die Diskussion war an der dieser Stelle hitzig, hinterfragte die Kritik deutlich und konnte sich immerhin darauf einigen, dass ein zu starker Fokus auf Identitätsfragen den Blick auf die soziale Frage verstellen würde und Sprechverbote der Sache Marginalisierter nicht dienlich seien. Ebenso wurde deutlich, dass der Begriff „Privilegien“ auch zur Festsetzung von Herrschaftsstrukturen verwendet werden könnte, kurzum bedürfe es einer Mosaiklinken, in der alle gemeinsam gegen die kapitalistischen Widerstände ankämpften, wo weiße Cis-Männer auch Allies sein könnten. Wer jedoch immerzu von „Cancel Culture“ und Sprechverboten fabuliere, sei Teil des Problems und spiele Rechtsextremen in die Hände, für die Diskriminierung Teil der natürlichen Ordnung ist.

Der Neoliberalismus und das Erstarken rechter Kräfte

Die letzte These des Tages begab sich auf das weite Feld der Neoliberalen Entgrenzungspolitik durch sozialdemokratische Regierungen um die Jahrtausendwende, die mit Hartz IV, Abbau von Sozialstaat und dem größten Niedriglohnsektor Europas den rechtsextremen Backlash der Folgejahre erst ermöglicht habe. Pointiert gesprochen wurde sich also der Frage gewidmet, ob Gerhard Schröder die AfD heraufbeschworen habe. Dem zugrunde liegen Arbeiten etwa von Horn oder Stöß, die davon ausgehen, dass die AfD die soziale Frage (neben ihrem Hauptgeschäft, dem Aufgreifen rassistischer und chauvinistischer Einstellungen zum Hetzen gegen Minderheiten) eben nur besetzen konnte, weil sie durch die neoliberale Angebotspolitik erst wieder derart aufgebrochen wurde. Hierbei hätte sie versucht, die Abstiegsängste der Mittelschicht aufzufangen. In der Diskussion wurde jedoch auch herausgearbeitet, dass es bereits vor Schröder konservative Kräfte gab, die den Sozialstaat destabilisierten, als der Keynesianismus wie zu erwarten an seine Grenzen stieß. Von der CDU sei jedoch nichts Anderes zu erwarten gewesen und der SPD hätte die Bevölkerung es nicht verziehen, gemeinsam mit Blair und Miller den New-Labour-Ansatz durchzusetzen. Auch wenn sie auf dem Höhepunkt eine noch deutlich unsozialere Politik betrieb als die Konservativen zuvor. In diese Lücke seien AfD, UKIP/Brexiteers und PiS-Partei dann gestoßen, um sich als neue Anwälte der kleinen Leute zu präsentieren. Sie verstünden es, sich vor allem auch durch die Nutzung des sozialen Internets entsprechend zu inszenieren. Hierbei blieben selbstverständlich Fragen offen, etwa bezüglich der Mobilisierung und des Wähler*innenpotentials rechter Parteien, die an anderer Stelle weiter ausdiskutiert werden. Eine sozialdemokratische Antwort muss in der eindeutigen Abkehr von den neoliberalen Jahren erfolgen. Die Linke muss wieder authentische Antworten auf die Soziale Fragen finden und für diese einstehen, darin waren sich die Diskutierenden einig.

Im dritten und letzten Teil dieser kleinen Reihe wird mit dem SPD-Landtagsabgeordneten Tobias von Pein über staatliche Ressourcen zur Rechtsextremismusprävention und -intervention gesprochen.