Proms-Sommertagung „Linkes Werk & rechter Beitrag“ am 5. & 6. September 2020 in Kiel

Teil 1: Unser Programm + Verschwörungsideologie & Antisemitismus

Die Sommertagung von Proms Nord e.V. stand in diesem Jahr unter dem Motto „Linkes Werk und rechter Beitrag“. In Anlehnung an John Irvings Roman „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ sollte erschlossen werden, ob sich rechte und linke Politik gegenseitig bedingen, es also eine Wechselbeziehung gibt. In dieser Reihe soll die Tagung rekapituliert werden. Dies ist der erste Teil.

Zusammengefasst: Das Programm der Sommertagung

Dabei wurde sich dem Verhältnis der beiden Phänomene zunächst in Form einer sehr aktuellen Erscheinungsform genähert: den Verschwörungserzählungen rund um die Corona-Pandemie. In der Diskussion wurde erörtert, warum der Antisemitismus, der den Erzählungen von finsteren Mächten im Hintergrund innewohnt, auch so attraktiv für linke Menschen ist, dass sie auf entsprechende Demonstrationen gehen. Sie ermöglichen ihnen eine Kompensation ansonsten übermenschlich großer Probleme wie einer globalen Pandemie. Daran anschließend wurde sich mit der Frage beschäftigt, wie Sozialist*innen wir Kautsky und Bebel Antisemitismus begegneten.

In einem zweiten Workshop sollten drei Thesen zum Thema Abhängigkeitsverhältnis erörtert werden. Zunächst wurde die klassische Hufeisen- oder auch Extremismustheorie und ihr Nutzen zur Beschreibung der Phänomene anhand politikwissenschaftlicher Einlassungen diskutiert. Anschließend konnte herausgearbeitet werden, ob das, was heute als „linke Identitätspolitik“ bekannt ist, einem rechten Backlash Vorschub leistet. Um als letzte These zu diskutieren, ob der Neoliberalismus, der seit 40 Jahren alle Bereiche des öffentlichen Lebens entgrenzt und Menschen durch Globalisierung und Digitalisierung Zukunftsängste beschert, schuld ist am Aufstieg neuer rechtsextremer Kräfte auf der gesamten Welt.

Am zweiten Tag wurde dann Tobias von Pein, Sprecher der schleswig-holsteinischen SPD-Landtagsfraktion gegen Rechtsextremismus per Video zugeschaltet, um zu diskutieren, welche Möglichkeiten staatliche Akteur*innen haben, um rechtsextremen Bestrebungen zu entgegnen.

Verschwörungsideologie & Antisemitismus

Sichtlich erleichtert wirkten alle Teilnehmer*innen, dass eine solche Veranstaltung endlich wieder in Präsenz stattfinden konnte und nicht in den digitalen Orbit verschoben werden musste, wie in diesem Jahr so viele Events. Ein Hinweis auf die „AHA“-Formel gegen Corona, also Abstand, Hygiene und Alltagsmasken, konnte nicht ausbleiben. So war dann auch gleich der erste Workshop von vielen Zwischenfragen geprägt. Der Input zu Verschwörungserzählungen wurde beispielhaft an den Demonstrationen der Coronaleugner*innen ausgerichtet. Selbstverständlich gebe es Verschwörungen in Politik und Wirtschaft, wie etwa die NSA-Affäre oder den VW-Dieselskandal, doch werde es problematisch, sobald eine solche Vorstellung die Grundannahme sei, mit der sich Menschen die Welt erklärten. Erhellend wirkte, dass diese Grundannahme jedoch vor keiner gesellschaftlichen oder politischen Gruppe Halt mache, also kein spezifisch rechtes, männliches oder altes Problem sei. Vielmehr treffe es besonders narzisstische Menschen, die traumatische Erfahrungen gemacht hätten oder denen langweilig sei, die kurzum eine Kompensation in einem solchen Weltbild fänden (so zumindest die Autorinnen Katharina Nocun und Pia Lamberty in ihrem Bestseller „Fake Facts“, der sich dem Thema aus psychologischer Sicht nähert). Grundsätzlich neigten sie dazu, die Welt einfacher in schwarz und weiß einzuordnen und hätten ein geringeres Erkenntnisbedürfnis als Nicht-Verschwörungsideolog*innen. Damit setzten sie sich und andere jedoch einem höheren Gesundheitsrisiko aus und neigten eher zu Gewalt gegen die vermeintlichen Verschwörer*innen. Antisemitismus verdecke sich häufig unter der Oberfläche, wenn eine kleine Gruppe mächtiger Einzelpersonen verantwortlich gemacht würde für das Übel in der Welt, wie es in den sogenannten „Protokollen der Weisen von Zion“ der Fall ist.

In der folgenden Textarbeit wurde deutlich, dass für August Bebel auf dem SPD-Parteitag 1893 Antisemitismus zum einen eine bürgerliche Erfindung und zum anderen schlichtweg falsches Bewusstsein im marxistischen Sinne war. Die „Juncker und Pfaffen“, wie er die Bürgerlichen abschätzig nennt, sähen in jüdischen Kapitaleigner*innen einerseits Konkurrenz und andererseits Sündenböcke. Kautsky geht sogar noch einen Schritt weiter, seiner Meinung nach könne die Arbeiter*innenklasse nicht antisemitisch sein. Er versuchte sich daran die Unterschiede zwischen Jüd*innen und Nicht-Jüd*innen materiell und nicht religiös zu beschreiben, da die Sozialdemokratie sich an der sozialen Frage und nicht an religiösen Stereotypen orientiere. Beiden ist ein zwar zeitgenössischer Blick auf das Problem des Antisemitismus gemein, doch transportieren sie trotz dieser nicht diskriminierungsfreien Perspektive eine klare Haltung und stehen an der Seite der Jüdinnen und Juden der Zeit. Dies wurde in der Diskussion über die beiden Texte auch als klarer Auftrag an die moderne Sozialdemokratie verstanden. Kautsky stellte darüber hinaus ebenfalls heraus, dass die Ohnmacht, den ganzen Kapitalismus zu bekämpfen, einen „fruchtbare[n] Boden“ für Antisemitismus darstellt.

Im zweiten Teil werden drei Thesen vorgestellt, anhand derer diskutiert wurde, ob sich linke und rechte Politik gegenseitig bedingen. Stay tuned.